1915 Chateau Margaux 

 1915 Chateau Margaux wieder einmal ein sehr überraschendes Erlebnis. Im Juno anno 2002 aus einer sehr verlässlichen Quelle 2 CM 1915 erstanden, wovon diejenige mit dem schlechteren Füllstand heute daran glauben musste: 4 Jahre stressfreie Lagerung nach einer für sehr alte Herren strapaziösen Reise sollten ausreichen und mit Markus war ein Fan von alten Kameraden zugegen, dem solche Kapriolen ebenso wie mir richtig Spass machen. Im Glas tummelte sich noch immer der Poyferre 90 als wir die Korken-Notoperation angingen. Die Entfernung erwies sich als nahezu undurchführbar, ein Teil der Korkbrösel landeten im Wein. Notgedrungen mussten wir in eine kleine, enge Karaffe dekantieren, was sich als Glückstreffer erwies. Selbst Broadbent schweigt zu BDXen des Jahrganges 1915. Lapidare Feststellung: es herrschte Krieg in Europa, der Latour war so mies, dass er abgewertet wurde: „for local use only.“ Das reichte Weinkamerad Broadbent zur Vergabe von 0 Sternleins für den Jahrgang – Pasta Schutta, Ende. Er hätte lieber mal den CM probieren sollen.... Nun hatte ich schon so allerhand in der Weintasse, aber neue Erfahrungen gibt es immer wieder. Schon die Farbe des 15ers war überraschend gut intakt: nix Orange oder Hellrot, nöö, ein richtig sattes Rot strömt in die Karaffe. Der erste Geruch lässt ebenfalls darauf schliessen, dass der Wein noch gut beieinander ist. Von der Karaffe direkt ins Glas. Klar, nicht mehr das allertiefste Rot und ein deutlicher Wasserand lässt sich auch nicht verleugnen. In der Nase wirkt der CM sehr maskulin und streng, kräuterige Noten – allen voran Lorbeer – beherrschen die Szenerie. Frucht: Fehlanzeige. Auf der Zunge war der erste Eindruck ebenfalls streng und maskulin; im Gaumen erst einmal auch keine Überraschung: ein durchaus noch als mittelgewichtig zu bezeichnender Tropfen mit intaktem Gerüst, die Frucht scheint im Nirwana,im Mittelmund macht sich eine wahrnehmbare Trockenheit breit, die Säure sticht etwas hervor, im Nachhall ist kein wirklicher Endspurt nachweisbar. Das alles ändert sich in den nächsten 10 Minuten. Das Bouquet wird jetzt von einer kräftigen, stark kräuterigen Fleischbrühe beherrscht. Im Mund baut der Kamerad beständig auf, die Trockenheit im Gaumen ist mittlerweile Schnee von gestern, es zeigt sich erstes Fleisch an den Knochen, der Wein scheint um eine gute Balance zu ringen, eine zärtliche Süsse zeigt sich schüchtern und im Nachhall kann man so etwas wie Muskeltraining feststellen. Wieder 10 Minuten später stehen wir erneut vor einem kompletten Wandel. Markus hat ein echtes Leuchten in den Augen: die Veilchen sind erblüht und haben im Bouquet das Kommando übernommen. Die geliebten Terroirtöne geben sich mittlerweile auch die Ehre und – man glaubt es kaum – die Nase nimmt zarte Fruchtnoten war: rote Beeren, in erster Linie rote Johannisbeeren mit ihrer typischen, leicht säuerlich angehauchten Fruchtsüsse. Im Mund hat man jetzt einen richtig leckeren, harmonischen Tropfen. Vorbei die maskuline Strenge, stattdessen Anmut, Eleganz und ein deutlicher Hauch von Finesse. Zarte Fruchtsüsse, ein durchaus bemerkenswerter Tiefgang für einen gut 90jährigen und ein Ausklang, der deutlich an Kraft gewonnen hat – unglaublich! Das allerdings hat den Wein seine letzten Reserven abverlangt. Nur einige Minuten verweilt er auf diesem traumhaft schönen Hügel, um dann rapide abzustürzen: die Nase passt sich dem ersten Eindruck an, die Trockenheit im Mund kehrt zurück und wird um eine deutlich metallische Note im Gaumen ergänzt. Es war ein ehrfurchtgebietendes Erlebnis mit einem wenn auch kurzen Peak: aber wer verweilt schon mehrere Stunden auf dem Gipfel des Mount Everest, wenn er das Hochkrackseln tatsächlich überlebt hat? Sicher, im Gegensatz zur Bundesliga ist beim CM 15 die Dichte in der Spitze nicht breiter geworden. Dafür war der Genuss am Gipfel für mich im Bereich von satten 93 Punkten. Übrigens haben wir uns erst wieder dem Poyferre gewidmet, nachdem der letzte Tropfen CM 15 die Kehle runtergelaufen war. Auch das ist eine (unbeabsichtigte) Verbeugung vor diesem tollen Wein. Schliesslich ist der 90er Poyferre keine schlappe Plempe, er war es auch nicht an diesem denkwürdigen Abend....... 91 Punkte.